Er befürchtet, dass bald Betten fehlen werden
CURAVIVA Baselland, der Verband der Baselbieter Alters- und Pflegeheime, feiert heute Abend sein 25-jähriges Bestehen. Im Interview stimmt Präsident René Gröflin nachdenkliche Töne an: Die Zunahme der älteren Bevölkerung bei gleichzeitigem Rückgang der Pflegenden bereite ihm Sorgen.
Bericht aus der Volksstimme vom 21.11.2024 / Janis Erne
Herr Gröflin, Curaviva Schweiz sagt Ja zur Efas-Vorlage: Für die Langzeitpflege stelle die einheitliche Finanzierung eine Chance dar. Welche Chance ist gemeint?
René Gröflin: Wir unterstützen die Empfehlung unseres Dachverbands. Mit einem Ja am Sonntag würde eine 14-jährige Leidensgeschichte ein positives Ende finden. Nach meiner Analyse überwiegen die möglichen Vordie möglichen Nachteile. Efas ist eine Chance für die Alters- und Pflegeheime, weil die Langzeitpflege mit der einheitlichen Finanzierung endlich den anderen Leistungserbringern gleichgestellt würde. Ihr Stellenwert würde dadurch gestärkt. Angesichts der demografischen Entwicklung ist das zentral, denn die Langzeitpflege und der Umgang mit dem Alter generell werden künftig noch wichtiger sein als heute.
Mit etwas Abstand: Wie blicken Sie auf die Coronavirus-Pandemie und die Auswirkungen auf die Alters- und Pflegeheime zurück?
Es war eine unwürdige Zeit für die alten Menschen. Sie verloren zeitweise den Kontakt zu ihren Angehörigen. Die Schutzmassnahmen waren zum Teil unmenschlich. Die Heime wehrten sich gegen Hausschliessungen und länger andauernde Kontaktverbote.
Die Heime verzeichneten auch weniger Eintritte, richtig?
Ja, die Belegung ist während Corona zurückgegangen – wer geht schon freiwillig in die Isolation? Heute ist das Vertrauen in die Institutionen zum Glück wieder vorhanden. Die Altersund Pflegeheime im Baselbiet sind fast alle voll belegt. Wir haben praktisch keine leeren Betten mehr, sondern Wartelisten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die Spitäler deswegen überfüllt sind. Sie verzeichnen einen Stau an Patienten; die Alters- und Pflegeheime können derzeit nicht alle ihnen zugewiesenen Personen zeitnah aufnehmen.
Gemessen an der Einwohnerzahl gehört das Baselbiet zu den Kantonen mit den wenigsten Pflegeheimplätzen. Gleichzeitig altert unser Kanton mit am schnellsten. Steuern wir auf eine Unterversorgung zu?
Offen gesagt: Ja. Ich habe die grosse Befürchtung, dass wir in den Altersund Pflegeheimen bald nicht mehr genügend Betten haben werden. Aus dem einfachen Grund, weil die Nachfrage nach Pflegeplätzen steigt und die Zahl der Fachkräfte sinkt. Die Schere geht immer weiter auseinander.
Was ist zu tun?
Wir – und damit meine ich die Gesellschaft und die Politik – müssen die intermediären Angebote forcieren. Das sind Angebote zwischen dem selbstständigen Wohnen und dem Eintritt ins Pflegeheim. Beispiele sind betreutes Wohnen, Tages- und Nachtstätten sowie Alterswohnungen. Der Eintritt in ein Alters- und Pflegeheim muss so lange wie möglich hinausgezögert werden. Die Heime werden in Zukunft fast ausschliesslich Menschen mit sehr hoher Pflegestufe aufnehmen.
Das Seniorenzentrum Schönthal, dessen Stiftungsrat Sie präsidieren, bietet nicht nur Heimplätze, sondern auch Alterswohnungen an. Ist das die Zukunft?
Solche Mischformen sind der richtige Weg. Im «Schönthal», das zur Versorgungsregion Liestal gehört, planen wir auch betreutes Wohnen und Wohngemeinschaften für Seniorinnen und Senioren. Leider gibt es im Baselbiet auch Versorgungsregionen, die beim Ausbau der intermediären Angebote kaum vorwärts machen. Gewisse Gemeinden foutieren sich sogar und sagen, das sei nicht ihre Aufgabe.
Soll sich der Kanton aus Ihrer Sicht stärker beteiligen?
Die Alterspolitik ist im Baselbiet zu einem grossen Teil Sache der Gemeinden. Das haben die Gemeinden so gewünscht. Sie mussten sich spätestens 2021 zu Versorgungsregionen zusammenschliessen und sollen gemeinsam sicherstellen, dass es genügend Betreuungs- und Pflegeangebote für ältere Menschen gibt.
Die Versorgungsregionen kommen nur langsam in die Gänge. Wie beurteilen Sie das?
Die Bildung von Versorgungsregionen ist ein guter Ansatz. Das Problem war die Umsetzung, die ausschliesslich aus politischen Blickwinkeln erfolgt ist: Gemeinde X wollte aus welchen Gründen auch immer nicht mit Gemeinde Y zusammenarbeiten und so weiter. Im Zentrum standen vielerorts persönliche Befindlichkeiten und nicht gesundheitspolitische oder bedarfsorientierte Aspekte.
Was ist die Folge?
Das Angebot und die Nachfrage sind nicht überall aufeinander abgestimmt. Gewisse Versorgungsregionen sind zudem zu klein, und auch die geografische Aufteilung ergibt teilweise keinen Sinn. So durchschneiden die Grenzen gewisser Versorgungsregionen die Tätigkeitsgebiete von Spitex-Organisationen. Das erschwert die Planung.
Muss man nachbessern?
Ja, unbedingt. Wir müssen Strukturen und Angebote aufbauen, die Sinn ergeben. Es ist angedacht, dass das betroffene Gesetz revidiert wird. Gesundheitsdirektor Thomi Jourdan hat angekündigt, dies 2025 oder 2026 anzugehen. Das ist dringend nötig, denn das Problem der Unterversorgung der älteren Bevölkerung kommt nicht übermorgen, sondern bereits morgen auf uns zu. Bis 2050 steigt die Zahl der alten Menschen kontinuierlich. Nochmals: Wir müssen beim Ausbau der intermediären Angebote Vollgas geben.
Was ist die Rolle der Alters- und Pflegeheime?
Diese sind bereit, sich neu auszurichten und damit den Umbau der Altersversorgung zu unterstützen. Allerdings muss auch der politische Wille vorhanden sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Denn der Ausbau der intermediären Angebote und der Pflegeheimplätze kostet. Die Pflegeheimkosten der Gemeinden werden zwangsläufig steigen. Die Gemeinden müssen sich daher fragen: Geben wir weniger Geld für anderes aus oder erhöhen wir die Steuern?
2022 haben sich die Alters- und Pflegeheime Frenkenbündten (Liestal) und am Weiher (Bubendorf) zusammengeschlossen. Im Juni haben fünf Oberbaselbieter Heime einen Personal-Pool ins Leben gerufen. Sind Kooperationen und Fusionen unabhängig von Versorgungsregionen die Lösung?
In der Spital- und Klinikbranche werden 100 bis 120 Betten als eine in wirtschaftlicher und unternehmerischer Hinsicht sinnvolle Grösse angesehen. Das gilt auch für Alters- und Pflegeheime. Ist ein Heim kleiner, hat es Mühe, über die Runden zu kommen und alle Qualitätsanforderungen zu erfüllen. In der Versorgungsregion Liestal tauschen sich die Heimleiter regelmässig aus. Sie suchen Möglichkeiten für Kooperationen – sei es beim Einkauf, bei IT-Lösungen oder beim Personal.
Heute gibt es im Baselbiet 32 Altersund Pflegeheime. Wird es künftig weniger, dafür grössere Heime geben?
Das ist gut möglich. Eine Fusion bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass der kleinere Standort verschwindet. Es reicht, wenn Pflege, Betreuung und Hotellerie vor Ort bleiben. Das Backoffice kann woanders sein. Entscheidend ist, wie eine Fusion abläuft. Sie sollte ein Zusammengehen sein und Synergien freisetzen; der Grosse sollte nicht den Kleinen schlucken.
Die Pandemie hat nicht nur zu einem vorübergehenden Bewohnerrückgang geführt, sondern auch den Personalmangel verschärft. Wie schwierig ist es für die Heime, qualifizierte Leute zu finden?
Die Situation ist regional unterschiedlich, aber überall angespannt. Der Pflegenotstand ist nicht nur ein Schlagwort, sondern Realität. Ohne Gegenmassnahmen verschärft er sich nur noch. Deshalb ist es wichtig, mit der Umsetzung der 2021 angenommenen Pflegeinitiative vorwärtszumachen. Die Ausbildung und der Job müssen attraktiver werden. Für die Altersund Pflegeheime kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht nur untereinander in Konkurrenz stehen, sondern auch mit Spitälern um Personal kämpfen. Viele Lernende zieht es eher ins Kinderspital nach Basel als in ein Alters- und Pflegeheim auf dem Land.
Wie engagiert sich Curaviva?
Wir geben Vollgas und unterstützen die Heime bei der Personalsuche. An der jüngsten Berufsmesse in Basel waren wir prominent vertreten. Zudem sind wir daran mitzuhelfen, den Beruf attraktiver auszugestalten. Denn es ist nicht nur schwierig, neue Fachkräfte zu finden, auch die Ausstiege und die vergleichsweise kurze Verweildauer im Beruf beschäftigen uns. Viele Pflegende kehren nach dem Elternurlaub oder der Mutterschaft nicht mehr zurück. Der Ausbau von Kita-Angeboten respektive der familienergänzenden Betreuung könnte ein möglicher Ansatz sein, die Wiedereinstiegsrate zu erhöhen oder junge Familien bei der Aufteilung der Erwerbstätigkeit zu unterstützen. Diesbezüglich werden wir seitens des Verbands auf die Gemeinde zugehen.
Eine Initiative der SP, die ein stärkeres finanzielles Engagement vom Kanton in der Kinderbetreuung fordert, verzögert sich. Ist es für Alters- und Pflegeheime sinnvoll, eigene Kitas anzubieten?
Vereinzelt gibt es solche Modelle. Es ist jedoch schwierig, diese wirtschaftlich sinnvoll auszugestalten. Häufig ergibt eine Kita nur Sinn, wenn mehrere Unternehmen und Organisationen zusammenarbeiten. In Zukunft wird das Modell eigener Kita in den Altersund Pflegeheimen vielleicht Schule machen. Sich nur auf den Staat zu verlassen, wäre falsch. Dieser ist teilweise zu träge unterwegs, das sieht man an der von Ihnen erwähnten Initiative, die eine gebührenfreie Kinderbetreuung fordert. Die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags durch den Regierungsrat dauert lange.
Vor zwei Jahren hat Curaviva Baselland die Mitglieder aufgerufen, sich die Angestellten nicht mehr gegenseitig wegzuschnappen. Halten sich die Heime daran?
Ich denke, ja. Die Häuser sind sensibilisiert, dass alle im gleichen Boot sitzen. Ich habe schon lange nicht mehr gehört, dass es Abwerbungen im grossen Stil gebe. Vor zwei Jahren war die Situation extrem, die Heime haben sich gegenseitig geschadet. Es war unsere Aufgabe als Verband, die Mitglieder darauf hinzuweisen.
Ein Altersheimplatz kostet laut Curaviva Schweiz im Durchschnitt rund 10 000 Franken monatlich. Die hohen Kosten beschäftigen viele Menschen. Können Sie das verstehen?
Selbstverständlich. Ein Aufenthalt ist nicht günstig. Man muss aber auch den Aufwand für die Heime sehen. Sie bieten den Bewohnern mit bestens ausgebildetem Personal nicht nur Pflege und Betreuung in höchster Qualität, sondern auch einen Hotelbetrieb. Teilweise geht der Aufenthalt an das Vermögen der Bewohner, doch auch die Krankenkassen und der Staat – hauptsächlich die Gemeinden – bezahlen einen Teil. Die Finanzierung ist sehr komplex. Im Seniorenzentrum Schönthal bezahlt lediglich ein Fünftel der Bewohner die Heimkosten komplett aus der eigenen Tasche. Der Rest greift auf staatliche Gelder zurück.
Im vergangenen Juni verfasste der Geschäftsführer von Curaviva Baselland einen Meinungsartikel. Darin wehrte er sich gegen angebliche Unterstellungen in den Medien, die Heime würden die Menschen «ausnehmen». Nehmen Sie eine Missstimmung wahr?
Nicht generell. Zu dieser Zeit gab es aber verschiedene Medienberichte, die suggerierten, dass die Alters- und Pflegeheime die Bewohner an die Armutsgrenze brächten. Das stimmt nicht. Einerseits ködern wir keine Menschen, sodass sie früher als nötig zu uns kommen. Andererseits müssen Bewohner nie ihr ganzes Vermögen anzapfen, es gibt einen Freibetrag. Die Botschaft des Artikels war, dass jeder Mensch Anspruch und Anrecht auf einen Heimplatz hat, unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen. Das ist eine Errungenschaft der Schweiz, um die uns viele Länder beneiden.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Mir bereitet der Rückgang an Pflegekräften bei gleichzeitiger Alterung der Gesellschaft grosse Sorgen. Ich hoffe, wir können rechtzeitig darauf reagieren. Dabei sollte etwas immer an erster Stelle stehen: das Wohlergehen der älteren Menschen. Denn sie sind es, die unseren Wohlstand erarbeitet haben. Wir sind es ihnen schuldig, ihnen einen angenehmen und würdigen Lebensabend zu ermöglichen.
Zum Bericht in der Volksstimme
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